Ich habe eine Maus im Terrassenschrank entdeckt.
Nun lärme ich täglich um den Schrank herum, lasse übelriechende Tücher dort liegen und entferne alles, was sich zum Nestbau oder zum Fressen eignet.
Als Autor von Erwachsenenmärchen fällt mir das schwer. Ich weiß schließlich, wie sich so eine Maus fühlt – als Märchenerzähler bin ich quasi von Berufs wegen Mäuseversteher. Wie sehr sie sich gefreut hat, als sie das warme und trockene Zuhause entdeckte. Wie wohl sie sich fühlte, als ihr kuscheliges Nest aus Putzlappen, Mülltüten und Gartenhandschuhen fertig war. Wie zuversichtlich sie dem Winter entgegensah, nachdem sie aus dem Sack mit Vogelfutter sämtliche Sonnenblumenkerne in ihr Versteck getragen hat, mühsam einen in jeder Backentasche, über viele Wochen hin und her. Wie sie sich vorgestellt hat, mit diesem Reichtum im Frühjahr eine schöne Mäusin zu becircen und in unserem Terrassenschrank eine Handvoll kleiner rosiger Mäusekinder großzuziehen.
Als Achtjähriger hatte ich weiße Mäuse als Haustiere; mit dem Verkauf des Nachwuchses habe ich mein erstes Geld verdient und fand auch nie, dass es bei uns im Keller streng riechen würde.
Nun habe ich das Nest und den Sonnenblumenkern-Vorrat entsorgt, den stinkenden Wassereimer mehrfach ausgespült, ein kleines Gerät angeschafft, das Mäuse mit Hochfrequenztönen vergraulen soll. Aber Mausefallen – das bringe ich nicht übers Herz.
Ich musste das tun. Wenn ich eine Maus in unserem Terrassenschrank wohnen ließe, würde meine Freundin nachziehen und sich endlich die Vogelspinne für ihr Vivarium anschaffen. Vielleicht würden wir uns sogar darüber zerstreiten.
Das will ich nicht.
Würde die Maus, die bis gestern in meinem Terrassenschrank wohnte, Liebesromane schreiben, sie würde es verstehen.