(Kleiner Smalltalk mit einem Angestellten des lokalen Supermarkts)
„Salzstangen-Aktionswochen? Ach wissen Sie, ich habe zu Salzstangen ein ambivalentes Verhältnis, seit ich die das letzte Mal gekauft hab, ist schon etwas länger her. Da bin ich mit den Salzstangen nach Hause, auf dem Weg zur Haustür denk ich: Mensch, Du hast den Mate-Tee vergessen, also zurück zum Fahrradständer, da seh ich da das süße Mädchen vom dritten Stock, die machte sich immer die Haare so hennarot und tat auch sonst alles, um nicht hübsch auszusehen, wenn Sie mich fragen, junger Mann, half aber nichts. Ich natürlich übelst nervös geworden und sie gefragt, ob sie eine Salzstange haben will, sie schaut mich total entgeistert an, dreht sich weg und schüttelt den Kopf, immerhin sieht sie nicht, wie ich knallrot werde und fast eine halbe Stunde gedankenverloren versuche, mein Fahrradschloss aufzukriegen. Dann kommt die Polizei und ich merke, dass ich vor dem falschen Fahrrad stehe. Die Polizei hatte da grad eben Facebook und Twitter, war ja alles Neuland, junger Mann. Und einen Medienbeauftragten hatten die jetzt, der musste einmal am Tag was Lustiges posten, die arme Socke. Und am Abend postet er: „Der dümmste Fahrraddieb der Welt“, mit schlecht gepixeltem Foto von mir und meinem selbst gebatikten T-Shirt, damals machte man sowas noch. Das haben Bento und Buzzfeed direkt so übernommen, wahrscheinlich, weil sie ja nicht mal den Titel ändern mussten. Ich also an den PC und eine lange Richtigstellung per Sharepic verbreitet, nur leider über den Instragram-Account, auf dem ich vorrangig Graffitis von meinem Lieblingssprayer teile. Also twitterte der Medienbeauftragte am nächsten Tag: „Der dümmste Graffitysprayer der Stadt“ und ich sollte mal aufs Revier kommen.
Alles sehr ärgerlich, aber als junger Mensch kann man sowas ja ab, nich´ wahr? Schlimmer war, dass auch 2 Tage nach der ganzen Schose noch niemand meine Richtigstellung geliked hatte, nicht bei Instagram, nicht bei Twitter, nicht bei Facebook. Kenn´Se noch Facebook? Ham´Se auch nichts verpasst. Ich also von meinem anonymen Twitter-Zweit-Account meinen Richtigstellungs-Post geliked, da kommt man sich schon blöd bei vor, aber so waren wir jungen Leute damals. Haben jede halbe Stunde nachgeschaut, ob nicht doch noch ein Like. Wir hatten doch alle damals mindestens 5 Accounts und ständig neue Apps für irgend einen Stuss, da konnte man schon mal durcheinanderkommen. Heute hab ich ja nur noch Snapchat, das is´ so´n bisschen wie der Alzheimer von meiner Frau. Wo war ich jetzt stehengeblieben? Und wissen Sie was: Irgendwann war dann das zweite Herz unter meinem Richtigstellungs-Post. War vom süßen Mädchen aus dem dritten Stock, könn´Se sich das vorstellen? Voll krass, höhö, sacht´man datt heut noch so? Den Rest der Woche habe ich sie natürlich auf ihrem Twitter-Account gestalked, war wie so´n Poesiealbum – kenn´Se datt noch: Poesiealben? Ham´Se nichts verpasst. War viel so Feminismus-Zeug drauf, Aufschrei, naja, das Übliche, und noch dieser Justin Bieber, immer wieder Justin Bieber. Ich habe dann jeden verdammten Post von ihr geliked, auch die Feminismus-Sachen, besonders die von Anne Wizorek, die habe ich sogar geforwarded, watt ´ne Leckere, nur nicht die Posts mit Justin Bieber, nicht einen davon hab ich geliked, komische Type, der.
Und denken Sie sich, junger Mann: Am nächsten Montag begegnen wir uns wieder beim Fahrradständer und ich frage sie todesmutig: „Willssen Eis mit mir essen gehn?“, war ja richtig warm draußen an dem Tach. Und heute sind wir fast 45 Jahre verheiratet, das da unten links ist unser jüngstes Enkelkind, ich könnte Ihnen sicherlich um die 100 Bilder vonner Familie zeigen, aber der Internetempfang hier drinnen ist so schlecht. Wissen Sie was, ich nehm 2 Tüten Salzstangen, da wird sich die Gabi aber freuen. Salzstangen hatten wir schon ganz lang nich mehr. Ihnen auch noch´n schönen Tag.“